KLEINKUNST am 10.05.2008 - Unterhaltsamer Mix auf der Neckarburg

Schwäbische Leitkultur

NECKARTENZLINGEN. Der bunte Abend lebte ganz klar von der tollen Atmosphäre, die im Innenhof der Neckarburg herrschte. Kurzfristig wurde die Veranstaltung »Mundart - Kabarett - Chanson« des schönen Wetters wegen nach draußen verlegt. Die Akustik mag drinnen besser sein, der Stimmung tat's keinen Abbruch; zumal Veranstalterin Elfriede Emmerich sämtliche ihr bekannten Gäste persönlich über die »Raumänderung« informiert und um entsprechende Kleidung gebeten hatte.

Im Wechsel unterhielten zum einen das Duo Uta Scheirle/Kai Müller mit Chansons rund um die Zweisamkeit und zum anderen der grandiose Johann Martin Enderle mit Einblicken in den schwäbischen Alltag. Vor allem der Start des Chanson-Programms wirkte ein wenig aufgeregt, dafür erkannte sich das Publikum in den EheAlltagsgeschichten immer wieder und quittierte die Pointen mit Kichern und In-sich-hinein-Lachen. Nach einiger Zeit wirkten die frivolen Andeutungen und Zoten ein wenig abgenutzt, eine Zugabe war trotzdem drin.

Noch viel mehr jedoch sprach dem Publikum der Kabarettist und Mundartautor Dieter Adrion aus der Seele, der als Johann Martin Enderle über den typisch schwäbischen Lautbestand wie beispielsweise das »Nasen-A« aufklärte, das in ähnlicher Form auch den Sprung in verschiedene skandinavische Sprachen geschafft hat. Bezüglich der angeblichen Wortkargheit, die der eindeutig eigenständigen schwäbischen Sprache (eigene Laute, eigene Grammatik, eigene Idiomatik) unterstellt wird, einigte man sich einvernehmlich auf die Erklärung »Mir hän d'Wörter, mir brauchet se bloß net!«

Karosse in der Garage

Zustimmendes Kopfnicken erntete Enderle auch, als die meist gereimte Sprache auf den vermeintlichen Lebenstraum der Schwaben kam, auf den eigenen Luxus-PKW aus Sindelfingen, den man sich 40 Arbeitsjahre vom Mund abspart, um sich an ihm dann hinter verschlossener Garagentür zu erfreuen; man will ja nicht als Großprotz da stehen. Ebenso wird der Stern auf der Kühlerhaube besser schon vorsorglich entfernt und auf Samt im Nachttisch deponiert, bevor irgendwelche Sozialneider das silberne Statussymbol klauen könnten!

Neben Sprache und Lebensart wurde zudem die heimische Speisekarte als essenzieller Bestandteil der schwäbischen Leitkultur identifiziert, an der sich Ortsfremde, ehemals einfach »Reigschmeckte«, heute aber politisch korrekt »Personen mit Migrationshintergrund«, orientieren können. Unzweifelhaft wird der lokalen Identität ein Bärendienst erwiesen, wenn im Stamm-Wirtshaus statt sauren Kutteln und Gaisburger Marsch plötzlich gebeizter Lachs auf Kressebett serviert wird. Umso wichtiger, dass die heimischen Essenskomponenten gebührend geehrt werden, sei es in der »Hymne an den Kartoffelsalat« oder gar die »Ode an die Maultasche«. Allerdings besteht noch die berechtigte Hoffnung, dass wenigstens das Spätzle in naher Zukunft zum Global Player aufsteigt! (fux)


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